Die Interpretation eines künstlerischen Werkes im Zusammenhang mit der privaten Biografie seines Schöpfers ist in Kunst-, Musik-, Film- und Literaturgeschichte längst gängige Praxis. Ganz selbstverständlich darf dabei auch die sexuelle Identität des Künstlers berücksichtigt werden. Ja, sie muss mitunter sogar Eingang in die Deutung finden: Was verstünden wir etwa von der Kunst David Hockneys, der Musik Peter Tschaikowskis, den Filmen Luchino Viscontis oder den Werken von Thomas Mann ohne das Wissen um deren Homosexualität?
Was in den anderen Disziplinen längst unumstrittener Standard ist, ist zumindest innerhalb der deutschsprachigen Architekturwissenschaften noch immer ein Tabu. So wird selbst noch in neueren Darstellungen über Architekten deren Homosexualität gern vollständig ausgeblendet und damit die Gefahr von Fehlinterpretationen wissentlich in Kauf genommen. Es ist höchste Zeit für ein Coming-Out der Architektur!